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Aufeinander zugehen – „Das A und O von Integration und Inklusion ist der persönliche Kontakt“

Kurdische Musik sorgte für gute Stimmung (Quelle: KSJD)
Kurdische Musik sorgte für gute Stimmung (Quelle: KSJD)

Rund 200 Menschen sind am 28. Dezember in Essen zum Refugees Welcome Fest von „Kurdistans Studenten und Jugend in Deutschland e.V.“ (KSJD) zusammengekommen. Hier trafen sich Geflüchtete und Nicht-Geflüchtete – fast alle mit kurdischen Wurzeln – zu Musik, Tanz und Theater. Auch bei der Organisation und den Proben für die Aufführungen hatten sich junge Geflüchtete und Nicht-Geflüchtete gleichermaßen engagiert. Rund 25 junge Frauen und Männer hatten sich ein gutes halbes Jahr auf den großen Tag vorbereitet und eifrig für die Darbietungen in Musik, Tanz und Theater geübt. Das große Refugees Welcome Fest fand im Rahmen des Projekts „Jugendverbandsarbeit mit jungen Geflüchteten“ statt. Der KSJD war bei dem Event der Kooperationspartner des Landesverbands NRW der djo-Deutsche Jugend in Europa.

Rund 95% der Mitglieder von „Kurdistans Studenten und Jugend in Deutschland e.V.“ kamen selbst vor vielen Jahren als Geflüchtete nach Deutschland. Sie kennen die Situation und Herausforderungen, die einem als junger Mensch in einem fremden Land begegnen. Viele Hürden gilt es zu überwinden, um Teil dieser Gesellschaft zu werden. „Aus unserer eigenen Erfahrung als Flüchtlinge, empfinden wir die soziale Ausgrenzung von Geflüchteten und die mangelnden Partizipationsmöglichkeiten als größte Hindernisse für die gesellschaftliche Inklusion“, sagt Ari Saeed. Der heute 23-Jährige kam 2001 als Geflüchteter nach Deutschland und engagiert sich seit längerer Zeit beim KSJD.

Als die Mitglieder des kurdischen Jugendverbandes von den Möglichkeiten des Projekts „Jugendverbandsarbeit mit jungen Geflüchteten“ erfuhren, überlegten sie nicht lange, ob sie sie sich dort einbringen sollen. Schnell stand fest, dass sie ein „Refugees-Welcome-Fest“ mit einem großen Rahmenprogramm veranstalten möchten. „Ein Fest, bei dem Geflüchtete und Nicht-Geflüchtete sich gleichermaßen einbringen und gemeinsam feiern, kann zumindest einige Barrieren brechen und den gesellschaftlichen Kontakt fördern“, weiß Ari.

Gesagt, getan

 Zum Fest kamen rund 200 Menschen zusammen (Quelle: KSJD)
Zum Fest kamen rund 200 Menschen zusammen (Quelle: KSJD)

Die Kontakte zu neu nach Deutschland geflüchteten Jugendlichen ergaben sich schnell. „Da wir bereits seit längerem in der Flüchtlingshilfe tätig sind, kannten wir bereits junge Geflüchtete. Wir gingen aber zusätzlich in die Flüchtlingsunterkünfte der Stadt Essen und stellten unser Projekt vor“, so Ari. Kontakte fanden sich auch über einen Fußballverein, wo Mitglieder des KSJD aktiv sind und beim Training junge Geflüchtete kennen lernten. Vielen sollte die Möglichkeit gegeben werden, sich in dem Projekt einzubringen. „Wir waren nicht darauf ausgerichtet, dass nur Kurden an dem Projekt teilnehmen, wir haben es auch Geflüchteten aus anderen Herkunftsregionen vorgestellt. Wir sind auf alle zugegangen“, berichtet Ari.

Das Geschlecht sowie die Herkunft spielten keine Rolle. Dennoch waren es letztendlich vor allem kurdische Jugendliche, die meisten aus dem Bereich des Nord-Iraks, die an dem Projekt teilnahmen. „Da wir vom KSJD neben Deutsch auch kurdisch sprechen und teils ähnliches erlebt haben – wenn auch einige Jahre früher – fand sich mit den Jugendlichen aus Kurdistan schnell eine gemeinsame Basis“, erklärt der 23-Jährige.

Eigentlich sollte die Zielgruppe in der Altersspanne der 14-28-jährigen Frauen und Männer liegen. Allerdings gab es auch einige Teilnehmer, die jünger waren. „Manche brachten zu den Treffen ihre kleineren Geschwister mit. Und natürlich schicken wir keinen weg, der motiviert ist und Spaß hat. Auch die jüngeren brachten sich richtig gut ein, etwa bei den Proben und der Aufführung unserer Theaterstücke“, sagt Ari.

Eine 25-köpfige Gruppe, zur Hälfte Mitglieder des KSJD und zur anderen Hälfte neu nach Deutschland geflüchtete Jugendliche, organisierten das große Fest. Ein halbes Jahr wurde geplant und geprobt. Sie studierten Musikstücke und Tänze ein und bereiteten zwei kleinere Theaterstücke vor. Rund ein Dutzend Mal traf man sich.

Mit schauspielerischem Talent auf aktuelle Fragen und Probleme hinweisen

Oft und intensiv hatten die Jugendlichen für die Auftritte geprobt (Quelle: KSJD)
Oft und intensiv hatten die Jugendlichen für die Auftritte geprobt (Quelle: KSJD)

Eine professionelle Musik- und Theaterpädagogin unterstützte die Gruppe in den Vorbereitungen. Ein Schwerpunkt waren zwei kleinere Theateraufführungen, die einstudiert wurden. Passend zur Jahreszeit befasste sich das erste Theaterstück mit dem Thema Weihnachten. Bei dieser kleinen Aufführung waren es vor allem die Jüngeren, die sich mit Spaß und Kreativität einbrachten. Auf lustige Weise wurde das Weihnachtsfest aus kurdischer Perspektive dargestellt. Was ist Weihnachten? Worum geht es da? Macht man da nur mit, um Geschenke zu bekommen? Viele Mitglieder des KSJD, wie auch die an dem Projekt teilnehmenden Geflüchteten, sind sunnitische Muslime oder gehören der jessidischen Minderheit an. Und doch haben viele der hier in Deutschland lebenden Kurden den Brauch übernommen, sich an Weihnachten gegenseitig zu beschenken. Mit Witz und Selbstironie stellten die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler das Weihnachtsfest aus kurdischer Sichtweise vor.

Im zweiten Theaterstück wurde es politisch. Es ging um das Thema, was alle angeht: Flucht. Die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler stellten eine Talkshow und eine Pressekonferenz im kurdischen Fernsehen nach und boten dabei eine andere Sichtweise auf das Thema. „In Kurdistan gibt es eine negativ belastetet Diskussion zum Thema Flucht. Es gibt Stimmen, die sagen, man dürfe die Heimat nicht verlassen, sonst könne man das Land nicht verteidigen“, erklärt Ari und fügt hinzu: „Allerdings hört man diese Meinung vor allem von Menschen, die wohlhabend sind und selbst schon längst eine ausländische Staatsangehörigkeit haben; dennoch wollen sie anderen Menschen ihre Meinung und ihren Willen aufdrängen.“ Ari studiert Politikwissenschaften an der Universität Duisburg-Essen und befasst sich seit langem mit den Vorgängen in seinem Geburtsland. „Viele Menschen fliehen vor dem IS aber sie fliehen auch auf Grund der katastrophalen wirtschaftlichen Lage, was auf die Korruption zurückzuführen ist“, spricht er die Gründe offen aus. Die realen Zustände in Kurdistan nahmen die Jugendlichen mit Satire ins Visier. Dabei kritisierten sie verschiedene Aspekte der kurdischen Politik, vor allem die Meinungsfreiheit.

Wir machen weiter

Die Theaterstücke und die musikalischen Darbietungen wurden bei dem Fest mit großem Jubel aufgenommen. Wieder einmal zeigte sich: Das intensive Proben hatte sich gelohnt. Das Refugees Welcome Fest brachte rund 200 Menschen in jedem Alter und verschiedener Herkunft zusammen. Neben den Geflüchteten, die sich schon in der Vorbereitung eingebracht hatten, kamen noch viele weitere zu dem interkulturellen Fest. Herkunft und Religion spielten keine Rolle.

Auch das Orga-Team ist zufrieden. „Das Ganze war megaanstrengend und vor allem organisatorisch eine riesen Herausforderung, hat aber auch sehr viel Spaß gemacht“, gibt Ari offen zu. „Ich war echt nervös, dass alles auch so klappt, wie wir es geplant hatten, etwa mit der Soundanlage, die wir besorgt hatten. Denn darauf waren wir wegen der Musik und der Theateraufführungen besonders angewiesen.“

Das Refugees Welcome Fest war ein Erfolg. Viele neue Geflüchtete nehmen seitdem an Treffen des KSJD teil und finden auf diesem Wege weiteren Zugang in ihre neue Lebenswelt. „Das A und O von Integration und Inklusion ist der persönliche Kontakt“, bringt es Ari auf den Punkt. Man müsse nicht mit jedem eng befreundet sein, aber durch so ein Fest und das gemeinsame Vorbereiten würden Vorurteile und Ängste verschwinden. Erste Kontakte und teils Freundschaften sind entstanden. Alle Mitglieder des KSJD hoffen nun auf eine Verlängerung ihres Projekts. Der Start ist geglückt, man muss aber weiter aufeinander zugehen, sind sie sich einig.

Autor: Dr. Christian Kahl